Prüfungskurs DS bei der Braunschweiger Schultheaterwoche

Die Abiturienten haben schon längst ihre Prüfungen hinter sich und genießen ihre Freizeit!
Nein, nicht alle! Der Prüfungskurs Darstellendes Spiel zeigte erst jetzt mit großem Erfolg seine Inszenierung: „Der Besuch der alten Dame“ im Rahmen der 50. Braunschweiger Schultheaterwoche im Kleines Haus des Staatstheaters.

Hier eine Rezensionen zu „Der Besuch der alten Dame“ (nach F. Dürrenmatt):

„Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“

Wie würden wir uns eigentlich entscheiden, wenn auf der einen Seite das Gemeinwohl und auf der anderen Seite die Moral auf dem Spiel stünde? Ist das Brecht’sche Motto, dass „erst das Fressen, dann die Moral“ komme, immer noch aktuell? Diesen Fragen ist der Kurs Darstellendes Spiel des Philipp Melanchthon Gymnasiums Meine in seiner beeindruckenden Adaption des Stücks „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt nachgegangen.

Zu Beginn betreten die uniform schwarz gekleideten Spieler*innen die Bühne, einer nach dem anderen tritt ans Mikrofon und äußert sich zu den eigenen Prinzipien und Tabus. Was würde ich eigentlich niemals tun? Alte Socken essen, den Boden ablecken, harte Drogen nehmen – und natürlich würden wir niemals jemanden töten!

Der Vorhang geht auf, von Hunger und Elend geschwächte Figuren zeigen sich, Schauplatz ist Güllen, ein Ort irgendwo im Niemandsland Europas. Der Name ist Programm, die Stadt verarmt, ihre arbeitslosen Bürger vegetieren dahin, nur die Suppenanstalt hält sie am Leben. In diese Ödnis kehrt die schillernde Milliardärin Claire heim. Einst schwanger musste sie aus ihrer Heimatstadt fortziehen, denn ihre Jugendliebe leugnete die Vaterschaft. Doch nun sinnt Claire auf Rache. Das unmoralische Angebot an die Güllener: Alfred Ill, der Vater ihres Kindes, der sie damals so im Stich gelassen hat, soll getötet werden, dann wäre die Milliardärin auch bereit, der Stadt zu neuem Wohlstand zu verhelfen – „Konjunktur für eine Leiche“. Die Güllener schlagen dieses Angebot zunächst voller Überzeugung aus. Schließlich lebe man in Europa, man töte keine Menschen, nur weil Geld im Spiel sei.

Mit großer Spielfreude zeigt der Kurs, wie diese Haltung langsam zu bröckeln beginnt und schließlich ganz umschlägt. Angefangen vom Hofieren der alten Dame, über plumpe Anbiederei bis hin zur schieren Gier verfällt ein jeder dem Konsumrausch. Groß ist die Macht, die die Milliardärin auf die Güllener ausübt. Im Stück wird diese durchweg sehr anschaulich dargestellt, sei es wenn gleich mehrere Spieler*innen die Figur durch den Einsatz roter Perücken verkörpern oder wenn überlebensgroße Videobilder von Claire im Hintergrund erscheinen, vor denen die Güllener wie kleine hilflose Zwerge wirken. So wird deutlich, dass diese am Ende eben auch als Vollstrecker der vorherrschenden Machtverhältnisse handeln, wenn sie Alfred Ill töten. Den Rest besorgt der Herdentrieb, der im rituellen Tanz mit Papphockern gezeigt wird, die mal als Bewegungsobjekte, mal als entmenschlichende viereckige Masken dienen und schließlich eine Mauer vor dem Publikum darstellen, die den Blick auf das Grässliche verstellt.

Und wir? Zu was wären wir selbst fähig, wenn man uns die Summe X böte? Ab wann ist unsere Moral korrumpierbar? In performativen Sequenzen stellt sich der Kurs diese Fragen selbst und deutet mit seinen Antworten ein pessimistisches Bild an. „Für eine Milliarde Euro würde ich einen Menschen töten“, heißt es da an einer Stelle. Und am Ende reichen schon 70 Euro, um entgegen der gerade noch geäußerten Prinzipien den Bühnenboden abzulecken. Das Lachen bleibt uns im Halse stecken. Deutlicher hätte man dem Publikum die Worte Brechts nicht vor Augen führen können.

von Christian Bilges

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